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Edmund Kuppel

Cover

Die Passage

 

1982, Das Buch war Teil der Ausstellung 'IN SITU' im Centre Georges Pompidou, Paris
24 S. Leporello 10 Abb. 23,5 x 16,5 cm

79,- €
ISBN 978-3-922441-32-8

 

Das Buch zeigt auf der einen Seite die Bildergeschichte der Passage, dreht man es um, so kann man die geschriebene Geschichte dieses Kunst-Lebensabenteuers lesen.

 

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Backcover

 

"Wo bleibt dieser verdammte ROSE SCHIAFFINO?" Ich hetze hoch zum Auto. Meine einzige Uhr ist im TRANSIT. Sie zeigt: 12 Uhr 35!
Es ist nicht das erste Mal, daß mich das Schiff versetzt.
"Du calme, du calme!"
"Vielleicht sind die Penner nur mal wieder nicht fertig geworden mit dem Laden", rede ich mir ein.
Wieder runter zum Meer.
"Vielleicht kommt's doch noch", mach ich mir Mut.
"Sonst bleibt immer noch CAR FERRIES SEALINK", tröste ich mich sicherheitshalber im voraus.
"Wer ist heute dran? VALENCY oder SENLAC?"
Es ist mir egal. Hauptsache ist, daß eines der beiden gegen 13 Uhr 45 (so steht's im Fahrplan und den halten sie ein) ausläuft. Sie sind zuverlässig; sieht man von dem Streik bis Mitte Februar ab. Eineinhalb Monate hatte er gedauert. Die Engländer ließen die Franzosen einfach solange nicht in Newhaven anlegen, bis diese ihnen ein Schiff abgekauft hatten.
Da bewegt sich was hinter der Mole! Ich seh zwar den Rumpf noch nicht, aber die Aufbauten fahren wie ein Haus auf Rädern auf der Kaimauer entlang. Ich kann auf die Entfernung nicht genau ausmachen, was für ein Schiff es ist, es scheint etwas kleiner als ROSE SCHIAFFINO. Aber die Zeit stimmt. Aber das Schiff ist nicht ROSE SCHIAFFINO. Es dreht, kaum aus dem Hafen raus, nach Norden ab.
"Wenigstens tut's das gleich, erspart mir die Aufregung, besser so, als wie damals mit dem völlig verrückten Schiff". Es war ganz unerwartet aufgetaucht. Durchs Teleobjektiv sah ich die irrsinnigsten Aufbauten, schneeweiß, spinnenbeinig, wie ein Raumschiff - quatsch, - es war wohl ein Forschungsschiff - auf jeden Fall gab's was her für die Phantasie. Ich war total fickrig. Ich hatte meine Kameragschtellage noch rechtzeitig aufgebaut gekriegt und verfolgte den Kurs. Der halbe Weg war schon geschafft, schön parallel zum Horizont, Toll! - - - plötzlich: demi-tour, oh nooon - Aufregung, Material waren für die Katz. Ich hab das Schiff nie wieder gesehen.
Auch andere hatten mich reingelegt - fuhren zu nah am Ufer - oder zu schnell - oder gingen vor Anker - das waren die schlimmsten - die versauten mir das Bild.
Mit ROSE SCHIAFFINO war heute nichts! Wer weiß, was die für Probleme haben. Mir bleibt nur noch SEALINK. D.h.: Die Warterei geht weiter.

Pünktlich um 13 Uhr 50: die Fähre. 5 Min. braucht sie von der An- in diesem Fall Ab-legestelle bis zum kleinen Leuchtturm am Ende der Mole. Der Himmel hat sich doch bezogen mittlerweile. Nicht mit dicken Wolken, nur schlierige Dunstfahnen, strähnig vom Wind, die schaffen's nicht, die Sonne ganz abzuhalten. Zwar sind die Schatten nicht mehr tiefschwarz, aber das Schiff ist strahlendweiß, reflektiert genügend, wird sich noch vom Horizont abheben, wenn's ins Blickfeld meiner Kamera kommt. In einer Viertelstunde. Ich hab das mal gestoppt. SEALINK ist doppelt so schnell wie SCHIAFFINO. Trotzdem eine Ewigkeit. Ich renne hoch zur Kamera - alles noch in Ordnung?! - renne wieder runter zum Meer - warum renn ich eigentlich? Ich schwitze, kalt, vor Nervosität, spüre, sobald ich stehe, wie sich die Tropfen unter der Achsel lösen, am Körper runterlaufen, einzeln, und wie sie vom in die Hose gewurschtelten, viel zu großen Unterhemd gestoppt werden. - Wieder zu viel geraucht - Scheiß-Kreis-Lauf.
Ich stell mich so, daß ich grad um die Ecke rumgucken kann. So, daß ich immer den Punkt sehe, wo sich das Schiff hinter der Küste vorschiebt. Ich halt's nicht aus oben hinter der Kamera, wo ich n u r weiß, daß es unterwegs ist, ich's aber noch nicht sehe. Deshalb verkürz ich langsam rückwärts die Gorge hochgehend ständig den Blickwinkel, das Schiff dauernd an der Kante der Böschung kleben sehend. Manchmal: Ein Schritt zu schnell. Ich muß den Hals langstrecken, schräg nach links vorne, blöde Späherhaltung. Je weiter das Schiff auf die offene See kommt, desto langsamer scheint's zu fahren. Es werden endlose 15 Minuten. Die letzten 10 m flitz ich zur Kamera, lehn mich ins Gebüsch, wieder links, um das Schiff noch die letzten Sekunden zu sehen, bevor die Kamera dran ist. Die Sicht ist noch schlechter als angenommen. Es ist zum Heulen: jetzt fährt's auch noch weiter draußen, es ist viel kleiner, zum Objektivwechseln keine Zeit mehr! - Der "Start" hat geklappt - gut - sehr gut - ich werde ruhiger. Ich schwenke systematisch die Kamera, den Gradeinteilungen auf der Aluplatte folgend, die ich mir unter den Stativkopf gebastelt habe. Ich warte, bis das Schiff genau im Fadenkreuz des Suchers meinen Vorsprung aufgeholt hat, und drücke ab.

Und - bei der 6. Einstellung - ein 2. (zweites) Schiff im Sucher. Ich will's nicht glauben, kann's nicht fassen, linse an der Kamera vorbei, seh's mit bloßem Auge, es ist riesig. Ich weiß nicht, was ich tun soll, kann nicht denken, stampfe vor Zorn auf den Boden, schrei: "Die ganze Serie am Arsch!" Ich schau wieder durch den Sucher, nimm's mit auf, weiß nicht warum, kümmer mich nicht drum, verfolge weiter mein Schiff, bis es nicht mehr zu sehen ist. Dann schau ich mir das andere an, immer noch fassungslos, schau ihm nach, bis es verschwindet, dort wo meins hergekommen ist, und denk: Das war mein Schiff sein Schiff.

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