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Aurélie-Nemours-Preis

Helmut Federle

Rede anlässlich der Verleihung des Aurélie-Nemours-Preises, Paris, 27. Januar 2009
   
Sehr geehrte Damen und Herren,
   
vielen Dank für den an mich vergebenen Preis der Aurélie-Nemours-Stiftung.
   
Als erstes geht mein Dank an die Malerin Aurélie Nemours selbst. Ohne sie gäbe es keinen Preis und somit in der Folge auch keinen Preisträger. Somit bin ich ihr, mit Achtung erfüllt, zu Dank verpflichtet.
   
Als zweites danke ich vom Herzen den Jury, die durch diesen Preis meine Arbeit - ich hoffe nicht zuletzt auch meine Haltung gegenüber - anerkennenden Ausdruck verliehen hat. Wer ist nun dieser diesjährige Preisträger? Wie kommt es, dass einem Maler, der in der Schweiz geboren ist und der der Schweiz vor allem Basel, die Studien und die für ihn mitprägenden Einflüsse, vor allem durch das dortige Kunstmuseum, zu verdanken hat, dort im weiteren diese Form professioneller Aufmerksamkeit verweigert wurde?
   
Bei dem auch die acht Jahre dauernde Professur in Deutschland an der Kunstakademie Düsseldorf spurlos ohne nennenswerte Aufmerksamkeit vorbeigegangen sind. Wie kommt es, dass dieser Künstler seinen ersten Preis in Frankreich erhält? Hätte man mir nicht schon beispielsweise den Preis für den Länderpavillon an der Biennale in Venedig 1997 geben können, vielleicht sogar geben müssen?  Dass ich mit 64 Jahren als Maler, Zeichner und architektonischer Gestalter diesen Preis erhalte, entspricht auch nicht ganz - um es milde auszudrücken - zeitgeistigen Gepflogenheiten. Dies spricht für die Kommission. Ich hoffe, dass die Abweichungen meiner schöpferischen Impulse, meiner Ideale, von denen Aurelie Nemours' geringer sind, als dies beispielsweise bei dem propagandistisch groß aufgeblasenen Turner-Preis oftmals der Fall ist. Turner, ein großartiger Maler, kann für dieses Missverständnis ja nichts. Mit geht es um den Form gewordenen Nebel der geistigen und seelischen Erregung. Form ist somit für mich immer inhaltlich und sei dies auch meist als klimatisch der Veränderung unterworfen zu verstehen. Zudem ist mir jegliches Branding-Verhalten fremd.

Andererseits konstatiere ich heute nach wie vor diesen ewig perpetuierenden Avantgardegedanken, der dem aufs äußerste strapazierten Freiheitsbegriff und dem daraus folgenden tabubrechenden Erfindungswahn huldigt.

Diese, auf Selbstüberschätzung beruhenden, hochgezüchteten Sozialisationsstrategien, die oft erfahrungslos sind und die man durchaus als inzestuös empfinden kann, scheinen die Gesellschaft anzutreiben, wie dies die Aktienkurse jahrzehntelang großartige getan haben. Der Kunstblase dieser präpotenten Propaganda-Kultur steht vermutlich derselbe Kollaps bevor, wie wir ihn heute in der Wirtschaft erleben. Nur als "reinigend", vermute ich, wird sich das nicht bemerkbar machen. Die Bedeutungserwartung hin zum Sinnstiftenden wird sich nicht erfüllen.
   

Es gab wohl in den letzten hundert Jahren, seit dem Beginn der Moderne, keine Zeitgeist-Epoche, in der die Künstler dem durchschnittlichen Erwartungsstand, somit dem zum Teil infantilisierten Konsumationsstand der Gesellschaft so entsprochen haben, wie dies heute der Fall ist. Unsere westlichen Sozialisationsstrukturen und deren Werte wurden nicht zuletzt durch die 68er Generation arg strapaziert. Da werden die größten Zyniker der Szene zu religiösen, spirituellen Figuren verklärt, wie dies die Ausstellung "Traces du sacré" hier im Pompidou gezeigt hat, oder der Museumsdirektor in Wien ist sich nicht zu blöde, sich auf den Armen eines Künstlers getragen als Kunstwerk ablichten und feiern zu lassen, oder Bernard Buffet wird als aufmerksamkeitsheischende Ausstellungs-Konzeption verkauft, wie dies in Frankfurt der Fall war. Ich frage mich, was geht in den Hirnen dieser Leute vor? Woher stammt dieses dekadente Sinnverständnis, diese durch und durch konventionalisierte Biederkeit? Wer Damien Hirst auf einer metaphysischen Ebene mit Kandinsky wähnt, ist meines Erachtens ein vorsätzlicher Brandstifter. Dieser konventionalisierte Ungehorsam, dieser positivistische Aktionismus ist unerträglich und zeigt mir, dass wir uns durchaus in einem Kulturclash befinden. Ein Kulturclash, der sich jedoch nicht in verschiedenen Religionen oder Kulturen äußert, nein, er ist das Resultat in unseren jeweils eigenen Reihen, und somit müssen wir uns über Zorn und Gewalt nicht wundern.
   
Ich möchte mich nun nochmals für die Anerkennung durch den Preis bedanken und vor allem dafür, dass man ihn einer zutiefst kritischen Person wie mir gibt, die ihr autistisches Sozialverhalten für nichts Außergewöhnliches hält und dies als Rechtfertigung der Ausgrenzung nicht akzeptiert. Dass man den Preis dieser Person gibt, scheint mir nicht selbstverständlich zu sein. Für diesen Mut möchte ich mich ganz herzlich bedanken. Da möchte ich meinem isolierten Dank dasselbe Gewicht verleihen, wie es üblicherweise dem Dank der quantitativen Übereinkünfte entspricht. Dieses Engagement hat die Kommission verdient.

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